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Zu
Rande Kommen |
Eine
Fuß- und Bahnreise von Ljubljana zum Meer |
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I. Weggang |
Wanderung von Ljubljana nach Notranje
Gorice |
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An der Ljubljanica |
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Am Wege |
Ljubljansko barje | Laibacher Moor | Palude di Lubiana |
Wer auf der Autobahn an ihm vorbeifährt,
kann seine Schönheit bestenfalls erahnen und wird hinter der Leitplanke
kaum eine Landschaft der Superlative vermuten. Auch auf den Fußgänger
macht das barje zunächst keinen großen Eindruck, scheint es doch
in erster Linie flach und monoton. Aber je tiefer er in die Ebene vordringt,
desto faszinierter wird er von ihrer Vielgestalt sein. |
Schon die Eckdaten sind beachtlich:
Das Laibacher Moor hat eine Ausdehnung von 160 km2 und ist damit nicht nur
das größte Karstbecken und Feuchtgebiet Sloweniens (das immerhin
ein Prozent des gesamten Staatsgebietes umfasst), sondern auch das südlichste
Großmoor Europas. Seine Entstehung verdankt es der Tektonik, die vor
Millionen Jahren den Boden absenkte, sowie dem Fluss Save, der die entstandene
Delle mit Ablagerungen füllte, die in der Folge der Ljubljanica den
Weg versperrten. So bildete sich nach der letzten Eiszeit, auf einer 100
m hohen Schicht aus Sand und Ton, ein seichter See, der erst vor 3.500 Jahren
zur Gänze verlandete und ein riesiges Hochmoor hervorbrachte. |
Dass die Menschen der ausgehenden
Steinzeit ausgerechnet diesen Sumpf zur Wohngegend erkoren, macht das barje
auch zu einem der bedeutendsten archäologischen Fundstätten des
Landes, die von der UNESCO 2003 zum Weltkulturerbe erhoben wurde. Freigelegt
wurden die Überreste hochentwickelter Pfahlbauten, komplexe Werkzeuge
aus Knochen und Kupfer, Boote unterschiedlichster Bauarten, aber auch ein
gut 5.000 Jahre altes Wagenrad mit einer Achse aus Eichenholz, das von manchen
Wissenschaftlern für das älteste Holzrad der Welt gehalten wird.
Dazu kommen kunstvolle Keramikarbeiten, die auf Sonnenriten und die Anbetung
einer weiblichen Gottheit schließen lassen. Es sind Zeugnisse eines
geheimnisvollen Völkchens von Fischern, Jägern und Bauern, das
vielleicht auch Handel betrieb, und vor dreieinhalbtausend Jahren sang-
und klanglos von der Weltbühne abtrat. (Auch die Pelikane, die damals
das Moor bevölkerten, verschwanden von der Bildfläche.) Weil es
namenlos ist, ordnen es Archäologen der »Badener Kultur«
zu, die gelegentlich auch als »Bandhenkelkultur« bezeichnet
wird und in der Kupfersteinzeit über halb Europa verbreitet war. Um
die Ureinwohner des Ljubljansko barje aus der Anonymität zu holen,
seien sie in Hinkunft barjeci genannt, zu deutsch: die »Mooren«. |
Hatten sich die barjeci mit dem großen
Nass, sei es als unbeständiger See, sei es als unzugänglicher
Sumpf, nicht nur arrangiert, sondern es als Lebensgrundlage zu nützen
gewusst, betrachteten es die Römer in erster Linie als Verkehrshindernis.
Um den Marmor, der am Fuße des Krim gebrochen wurde, nach Emona transportieren
zu können, bauten sie die erste Dammstraße durch das barje. Die
Unterkonstruktionen bestand abschnittsweise aus Reisigbündel, die auf
dem weichen Untergrund förmlich »schwammen«. Noch viel
aufwändiger gestaltete sich die Umleitung und Eintiefung der Ljubljanca,
die auf diese Weise dauerhaft schiffbar gemacht wurde. Sie bildete den letzten
Abschnitt einer Wasserstraße, die vom Schwarzen Meer über die
Donau, die Drau, die Save und die Ljubljanica bis Nauportus, dem heutigen
Vrhnika, führte, wo verschiedene Güter aus Aquilea, die über
das Karstmassiv herangekarrt kamen, auf Schiffe verladen wurden. Wie bedeutend
dieser Binnenhafen war, lässt sich auch daran ermessen, dass hier,
der Argonautensage zufolge, der griechische Held Jason anlegte, um die Suche
nach dem Goldenen Vlies auf dem Landweg fortzusetzen. Wanderer treffen im
Süden von Notranje Gorice auf das alte Bett der Ljubljanica, ein kilometerlanges
Biotop, das sich idyllisch durch die Felder schlängelt, und ahnen,
welcher Aufwand die Flussregulierung im Altertum gewesen sein muss. |
Die nächsten nennenswerten Eingriffe
in das Laibacher Moor fanden im 16. Jahrhundert statt, als man die ersten
Entwässerungsgräben anlegte, die allerdings kaum Wirkung zeigten
und regelmäßig verlandeten. Mehr Erfolg hatte der Jesuit Georg
Gruber, nach dessen Plänen um 1875, einem Dekret Maria Theresias folgend,
mehrere Kanäle entstanden, die die regelmäßigen Überschwemmung
eindämmten und den Grundwasserspiegel spürbar senkten, wodurch
die Ränder des barje landwirtschaftlich nutzbar wurden. Doch blieben
die Überflutungen unberechenbar und weite Teile des Moores unerschlossen.
Als kontraproduktiv, zumindest aus der Sicht der Landwirtschaft, erwies
sich auch der Torfab-bau, der zu einem neuerlichen Anstieg des Wasserpegels
fü-hrte. Aufgrund der steigenden Nachfrage – Torf fand als Heizmaterial
in den städtischen Haushalten sowie als Brennstoff für Dampfmaschinen
und Hochöfen Verwendung – verlegten sich ganze Dörfer auf
seine Gewinnung und schien das barje eine unverhoffte Goldgrube geworden
zu sein. So berechneten Wissenschaftler um 1850, dass die Torfvorräte
im Laibacher Moor für genau 659 Jahre gesichert seien und damit der
Unterhalt für fast 30 Generationen von Torfstechern. Tatsächlich
war die Torfschicht im barje bis zu neun Meter dick, womit dieses Spitzenreiter
unter den Torflagerstätten Europas war. Dass der geerntete Torf, zu
riesigen Pyramiden aufgetürmt, sehr schnell in sich zusammensank und
bald verrottete, war allerdings nicht bedacht worden. |
So unternahm man Anfang des 20. Jahrhunderts
neue Anstrengungen, das Laibacher Moor für die Landwirtschaft zu erschließen.
Die einschneidendste (sozial-)politische Maßnahme war die planmäßige
Ansiedlung von Veteranen des 1. Weltkriegs, denen man günstige Grundstücke
mit der Auflage zu Verfügung stellte, darauf Häuser zu errichten
und die Entwässerungsgräben warteten. Die ausgemusterten k.u.k.
Soldaten kolonisierten das Zentrum des barje entlang der 1930 gebauten,
schnurgeraden Straße zwischen Ljubljana und dem Dorf Ig pri Ljubljani,
sowie um Cırna vas im Süden der Ljubljanica. Dank der neuen »Mooren«
entstand ein immer dichteres Netz an Kanälen und Drainagen, die im
Verbund mit Pumpstationen und Dämmen den Wasserspiegel deutlich senkten
und den Anteil von Weide- und Ackerland sprunghaft ansteigen ließen.
Aus dem Ljubljanski morost (Morast) oder mocıvir (Sumpf), so die bis Ende
des 19. Jahrhunderts gebräuchliche Bezeichnung, war Kulturland geworden.
Das erklärte Ziel, aus dem Ljubljansko barje die »Kornkammer
Europas« zu machen, wurde trotzdem weit verfehlt. |
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Trotz massiver menschlicher Eingriffe,
die sich in einem fast geometrischen Mosaik aus Wiesen, Feldern, Wäldern
und Baum-hecken widerspiegeln, ist der Artenreichtum im Laibacher Moor noch
immer enorm. Unüberhörbar sind für den Wanderer vor allem
die Vögel, die das Land zu Abertausenden bevölkern. So nisten
hier rund 100 verschiedene Arten, was mehr als der Hälfte aller Vogelarten
Sloweniens entspricht. Dazu kommt eine noch größere Anzahl von
Vögeln, die im barje überwintern, oder hier als Zugvögel
Station machen. Zu den gefiederten Bewohnern zählen besonders seltene
und gefährdete Arten, denen man klingende Namen wie Wachtelkönig,
Großer Brachvogel, Waldschnepfe, Zwergohreule, Feldschwirl oder Kornweihe
gegeben hat. Selbst der Wiedehopf, der aus dem Moor bereits verschwunden
war, wurde vom Verfasser in der Nähe des bewaldeten Gricı gesichtet.
Als vermisst gelten aber seit einigen Jahren der Rötelfalke, die Bekassine
und der Raubwürger. |
Der Mix aus stehenden und fließenden
Gewässern (für die es im Slowenischen 24 verschiedene Bezeichnungen
gibt) bietet – noch – vielen Amphibien gute Lebensbedingungen.
Nacht für Nacht schreien der Europäische Laubfrosch und die Wechselkröte
Zeter und Mordio, als wollten sie lauthals ihr drohendes Aussterben beklagen.
Unterstützt werden sie dabei von der kleinen Gelbbauchunke, die ebenfalls
zu den gefährdeten Tierarten gehört und tapfer, aber vergeblich,
versucht, der Protestkakophonie einen Rhythmus zu geben. Die zwei seltensten
Arten sind hingegen zum Schweigen verdammt: der hässliche Alpen-Kammmolch,
ein Relikt aus der Urzeit, und die schöne Sumpfschildkröte, der
es gelungen ist, sich ins 21. Jahrhundert herüberzuretten, obwohl sie
noch im Sozialismus am Laibacher Markt als Delikatesse angeboten wurde.
Falls überhaupt, wird ihnen der Wanderer im plattgefahrenen Zustand
begegnen, weil die Weibchen auf der Suche nach Nistplätzen gelegentlich
Fahrwege überqueren und dabei unter Traktorräder geraten. |
Die eingangs gepriesene Schönheit
des barje offenbart sich vor allem in seinen üppigen und bunten Feuchtwiesen,
die die monochromen Felder allerorts kontrastieren. Für das Farbenspiel
sorgen wundersame Blumen, die nicht nur hübsch anzusehen sind und Botaniker
verzücken, sondern allesamt einen Nutzen für die Menschheit haben:
im Frühjahr die gelbe Sumpfdotterblume, die bösen Zauber abwehrt,
und die dunkelrote Schachbrettlilie, die als Brechmittel dient; später
das weiße Wollgras, das gegen Durchfall wirkt, und die leuchtend rote
Kuckucks-Lichtnelke, mit der man dem Grützbeutel zu Leibe rückt.
Es folgen der Echte Baldrian, dessen wohltuende Wirkung jedermann kennt,
sowie zahlreiche Orchideenarten wie das Fleischfarbene Knabenkraut, die
violette Mücken-Händelwurz und das gelbgrüne, streng geschützte
Sumpf-Glanzkraut, die sich zumindest zum Gedächtnistraining eignen.
Im Sommer dominiert die Heil-Ziest das Geschehen, die gegen schlechte Träume
und Monatsbeschwerden hilft und ganze Wiesen rot einzufärben vermag.
Nachzügler ist das weiße Sumpf-Herzblatt, das erst im Herbst
erblüht und einst bei übermäßigem Herzklopfen, Augenleiden
und Epilepsie verordnet wurde. Bleibt noch der Große Sauerampfer,
der gleich vier Monate lang blüht, bis zu 2 m hoch wird (wenn man die
Wurzel hinzurechnet) und den Wanderer vor Skorbut bewahrt. |
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Trotz reicher Flora und Fauna ist das
Laibacher Moor längst kein Paradies mehr. So führt die Verwaltung
des Krajinski park Ljubljansko barje, trotz nationaler und internationaler
Abkommen zum Schutz des Moors, einen fast aussichtslosen Kampf gegen die
Zerstörung der Naturlandschaft durch seine Anrainer. Beklagt werden
nicht nur die hemmungslose Zersiedelung und Verschandelung durch unangepasste
Gebäude, sondern auch die »aggressiven« Landwirte, die
mit schweren Maschinen immer tiefere Gräben ziehen und die Gewässer
mit Tonnen von Düngemitteln vergiften. Schuldig machen sich aber auch
viele Städter, die den Norden des barje offenbar als Mülldeponie
betrachten. Wanderer stoßen hier im Minutentakt auf ausgediente Autoreifen
und geplatze Müllsäcke oder Haufen von Bauschutt und Sperrmüll.
Auch Altkleider und Schuhe werden entlang der Fahrwege entsorgt. Das ist
kein schöner Anblick, ermöglicht aber einem halbnackten, obdachlosen
Moorbewohner, seine Garderobe aufzubessern. |
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