Es gibt viele Gründe, Kärnten nicht zu bereisen.
Manche meiden das Land, weil es als Hort des Deutschnationalismus gilt und bei Wahlen den übrigen österreichischen Bundesländern meist um einen Rechtsruck voraus ist. Andere schreckt sein Ruf als kostspielige Urlaubsregion, die mit »Blondinenwettbewerben« und »Golf-GTI-Treffen« alles zu unternehmen scheint, um dem Werbespruch »Kärnten is a Wahnsinn« gerecht zu werden. Darüber vermag auch die Schönheit des Landes nur teilweise hinwegzutrösten. Zersiedelung und Ortsbildzerstörung, Straßenbauten und Freizeitanlagen setzen der Landschaft immer mehr zu. Und wer sich »kulturelle Vielfalt im Schnittpunkt dreier Kulturen« erwartet, wird ebenfalls enttäuscht: Viele Künstler haben dem Land den Rücken gekehrt, und die ansässige Szene kann sich nur selten gegen ein kulturpolitisches Klima der Ignoranz oder Kunstfeindlichkeit durchsetzen. So ziehen es auch manche Kärntner vor, ihre Wochenenden und die Ferien andernorts zu verbringen.
Und trotzdem: Kärnten zu bereisen, lohnt die Mühe. Unter der Oberfläche, jenseits touristischer Wahrnehmung, wartet manche Überraschung.
Da finden sich erste Anzeichen für ein Verblassen nationaler Feindbilder oder entdeckt ein Dorf die Zweisprachigkeit als Bereicherung. Da pflegen einzelne Fremdenverkehrseinrichtungen Gastfreundschaft ohne folkloristische Anbiederung. Hier kann man Naturschönheiten und architektonische Besonderheiten entdecken, die ihren Reiz gerade aus dem Kontrast zu modernen Kulturlandschaften gewinnen. Oder man begegnet Zeugnissen einer Alltagskultur, die Traditionelles mit Modernem auf originelle Art zu verknüpfen weiß.

Wer sich mit Kärnten anfreunden möchte, benötigt allerdings Geduld, einige Nachsicht und die Bereitschaft, sich auf die Unzulänglichkeiten und Widersprüche dieses Landes einzulassen. KÄRNTEN. UNTEN DURCH ist der Versuch einer solchen Annäherung in Form einer mehrtägigen Wanderung.

Die Expedition beginnt in Dravograd in Slowenien, führt auf verschlungenen Wegen durch Südkärnten und endet in Tarvisio im italienischen Kanaltal. Man wandert dabei durch eine Region, die in den meisten Reiseführern nur am Rande erwähnt wird. Sie ist auch für viele Einheimische unbekanntes Terrain. Zwei Sprachgruppen leben hier in komplizierten Verhältnissen. Daß dieses Gebiet häufig als »Unterland« bezeichnet wird, hat weniger mit der Seehöhe zu tun, als daß es ein abfälliges Urteil bedeutet. Manchen erscheint der Landesteil als besonders provinziell, als Randgebiet, das mit den Hauptattraktionen Kärntens - seiner Bergwelt und den Badeseen - nicht konkurrieren kann. Der Wanderer darf sich trotzdem auf außergewöhnliche landschaftliche Schönheiten und zahlreiche kulturelle Kleinode freuen. Allerdings wird die Idylle immer wieder durch Schauplätze kontrastiert, die man üblicherweise zu meiden trachtet: Industriezonen und Siedlungsgebiete, Orte der Deformation, der Verwahrlosung und des Verfalls.
Wer einen zweiten Blick riskiert, kann das Gewöhnliche oder sogar Häßliche dieser Landschaften als Bereicherung erleben. Orte wie St. Radegund oder Peratschitzen, Thörl-Maglern oder Arnoldstein, die sonst kaum jemand als Reise- und Ausflugziele wählt, zeigen dann einen höheren »ästhetischen Gehalt« als manches Kulturdenkmal. Auf jeden Fall läßt sich so mehr über ein Land und seineBewohner erfahren als beim üblichen Sightseeing. Vorausgesetzt wird die Fähigkeit, dem Unscheinbaren und scheinbar Belanglosen mit Neugier zu begegnen. Die geheimen Schönheiten Kärntens zu entdecken und ihre Bedeutung zu ergründen, ist die Herausforderung dieser Reise.
Wilhelm Berger, Gerhard Pilgram