In seiner »Rede über das Sammeln«, publiziert 1931 in der Literarischen Welt, prophezeite Walter Benjamin, dass für den Sammler »die Nacht hereinbricht«. (1)
Die Passion sei unzeitgemäß, der Typus des Sammlers sterbe aus. Aus heutiger Sicht scheint eher das Gegenteil der Fall: Sammeln ist ein Massenphänomen, ein ganzes Marktsegment der Kulturindustrie lebt davon.

»Sammeln« als Tätigkeit von Institutionen, als Teil der ästhetischen Praxis des Alltags und als Problemstellung der Kunst war Thema zweier Lehrveranstaltungen im Wintersemester 2000/2001 an der Universität für angewandte Kunst Wien (Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften, Kunstpädagogik) und an der Universität Klagenfurt (Institut für Philosophie). Eine Box dokumentiert in kurzen Zusammenfassungen Arbeiten und Entwürfe von StudentInnen aus Wien und Klagenfurt, die in diesem Semester enstanden sind. Die Arbeiten selbst wurden in Wien vom 4. – 6. April 2001 in einer von StudentInnen organisierten Ausstellung in den Räumen der Sala Terrena präsentiert und diskutiert. Dokumentiert sind Arbeiten in unterschiedlichen Stadien: Manches ist noch Konzept, anderes bereits unterwegs, völlig abgeschlossen ist natürlich nichts.
Am 28. April erfolgt ein zweites Treffen in Klagenfurt.

Die Kooperation war die erste Zusammenarbeit beider Institute über ein ganzes Semester hinweg und organisatorisch wie methodisch ein kleines Experiment. Erstmals wurde ein gemeinsames Praktikum für Studierende der Bereiche Bildnerische Erziehung (I. Strobl), Werkerziehung (S. Mann) und Textiles Gestalten (B. Putz-Plecko) an der Universität für angewandte Kunst Wien mit einem Seminar an der Universität Klagenfurt (M. Moser, E. Strouhal) verbunden. Dadurch konnten im Laufe des Semesters Begegnungen zwischen Kunst und Wissenschaft initiiert und unterschiedliche Zugänge zum Thema eröffnet werden. Bisweilen boten die Ergebnisse der kulturwissenschaftlichen Recherchen, die vor allem aus Interviews mit SammlerInnen bestanden, Ausgangspunkt und Anregung für ästhetische Forschung, manchmal verhielt es sich umgekehrt.

Im Mittelpunkt standen die eigenartige Logik, die Paradoxa und die Ästhetik des Sammelns. (2) Sammeln lässt sich als Versuch des Bewahrens der Dinge vor dem Vergessen und Verschwinden verstehen. Ding und Sammler existieren in Symbiose. Der Sammler schützt die Dinge vor dem Verbrauch – in der Sammlung führen sie ein gespenstisch-komfortables Leben nach ihrem Leben in der Warenwelt –, zugleich erzeugt ihr Besitz Distinktion und Macht. Die Sammlung schafft Kohärenz in der Biographie des Sammelnden als ein Depot von Erinnerungen, durch die sich der Sammler seines Selbst vergewissert. Der Sammlungsraum gewährt Schutz, der Sammler schafft sich ein Gehäuse, das zwar sakral und geheim ist, das aber bei Bedarf dem Besucher lustvoll exhibitionistisch geöffnet wird. Schließlich schafft jede Sammlung Ordnung, sie ist Ergebnis einer Sucht und Suche nach Ordnung, die freilich nie vollständig gestillt oder vollendet werden kann.

So spezialisiert Sammlungen auch sein mögen, sie sind nie tautologisch: Gesammelt werden stets verschiedene Dinge, die aber zumindest in einem Aspekt gleich sind, bzw. stets Gleiches, das dann doch verschieden ist. Nichts, was sich nicht als ein solches Objekt sammeln ließe: Wir haben Wurzelsammler, Sandsammler und Flaschensammler kennengelernt, gesammlet werden Orgeln gleichermaßen wie Fingerhüte, Videokassetten wie Plastikbestecke oder – riskanteste Sammlung von allen – zeitgerecht ausgefüllte, aber dann doch nicht aufgegebene Lottoscheine. Sammeln lassen sich Menschen und Tiere, aber auch private Erfahrungen, und Momente, die im Vorgang des Sammelns als Bild oder Notiz dingfest werden. Bekanntlich kann man sogar sich selbst sammeln.

Kein Behältnis, das sich dabei nicht als Gehäuse der Sammlung, als Archiv, Depot oder Speicher eignete: Abgelegt werden die Dinge in Alben, Katalogen und Dosen, in Schachteln, in Bettkästen, in Regalen, Vitrinen oder einfach in Dutzenden schwarzen Müllsäcken, aus denen dann nach und nach hunderte Teddybären (jeweils der richtige, derjenigie, der exakt zur Passage der Erzählung des Sammlers passt) hervorgeholt, vorgezeigt und bis zur Erschöpfung des Besuchers besprochen werden: Lieder von der Jagd, der kleinen Triumphe und der Niederlagen. Ob nach Form, Farbe oder Datum des Erwerbs: Kein System, das sich nicht für die Schaffung einer individuellen Ordnung der Sammlung eignete. Und schließlich: Keine Sammlung, die je vollständig, keine Sammlung, die nur Glück und nicht auch Anlass zur Sprge und Traurigkeit wäre. An einem bestimmten Punkt schlägt die Sammlung zutück. Sie stellt dem Sammler durch ihre bloße Existenz und Monstrosität Fragen, die er/sie vielleicht nicht hören will.

Am Ende ist die Sammlung mitunter nur Müll, den man nicht mehr los wird und der den Sammler im Laufe der Zeit sukzessive aus dem Schutzraum drängt. Manches sammelt sich dann von selbst an: Staub etwa.

Wien, April 2001

E. S.

1) Walter Benjamin: Ich packe meine Bibliothek aus. Eine Rede über das Sammeln. In: Gesammelte Schriften (hrsg. v. R. Tiedemann u. H. Schweppenhäuser), Bd. IV/!. Frankfurt/M. 1991, S. 388-386

2) Aus der Fülle der Literatur zum Thema vom WS 2000/01 vgl.: Boris Groys: Logik der Sammlung. Am Ende des musealen Zeitalters. Wien 1997; Werner Musterberger: Sammeln. Eine unbändige Leidenschaft. Berlin 1995; Irene Schaffner, Matthias Winzen: Deep Storage. Arsenale der Erinnerung. Sammeln, Speichern, Archivieren in der Kunst. München, New York 1997; Schwerpunktthema Sammeln. In: Der Alltag. Die Sensationen des Gewöhnlichen Nr. 73/Sept. 1996; Krystof Pomian: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln. Berlin 1997; Mafred Sommer: Sammeln. Ein philosophischer Versuch. Frankfurt/M. 1999