Sehr geehrte Damen
und Herren, liebe Menschen und Freunde der holden Kunst!
Wir befinden uns hier auf unsicherem Boden. Kärnten ist ein Erdbebenland.
Eine tektonische Störungslinie, periadriatische Naht genannt, zieht
sich durch das Rosental. Wir stehen am Rande einer unsichtbaren Bruchlinie,
eines Risses der Erdkruste, der sich von Zeit zu Zeit durch ein Erdbeben
bemerkbar macht. Manchmal schwankt der Boden kaum merklich und
zwar mehrmals im Jahr manchmal bebt es gewaltig. Dann kann es vorkommen,
daß ein Berg gleich 17 Dörfer unter sich begräbt, wie
etwa der Dobratsch im Jahr 1348. Oder es bersten, wer weiß, die
Dämme und brechen die Brücken. Tonbänder mit den entsprechenden
Katastrophenwarnungen und Evakuierungsaufforderungen liegen beim ORF bereit.
Schuld an dieser permanenten Bedrohung ist Afrika. Sie wissen schon: der
dunkle, unbekannte Kontinent dort unten im Süden. Die afrikanische
Platte stemmt sich mit aller Kraft gegen die europäische. Die wehrt
sich vergeblich. Es kommt zu Verwerfungen, die Alpen falten sich auf und
verstellen uns den Blick aufs Mittelmeer. Geologisch betrachtet beginnt
Afrika in Südkärnten. Das erklärt vielleicht auch die freundschaftlichen
Bande unseres Landeshauptmannes zu Oberst Ghadaffi.
Größere Erdbeben kündigen sich, so heißt es, manchmal
durch ein lautes Grollen an, mit einem Grollen, das aus der Tiefe der
Erde kommt. Unser GROSSES GROLLEN soll kein Erdbeben auslösen,
im Gegenteil, es versteht sich als Frühwarnung. Etwa in folgendem
Sinne:
Kärntnerinnen und Kärntner, Landsleute, wiegt Euch nicht in
Sicherheit! Dem Heimatboden unter Euren Füßen ist nicht zu
trauen. Bedenkt, daß Eure heile Welt jederzeit einstürzen kann!
Seid aufmerksam, achtet auf den Geschmack der Kartoffeln, geht barfuß,
beobachtet die Tiere! Befestigt die Brücken und verstärkt die
Dämme! Verlaßt Eure Häuser, baut Euch leichte, offene
Unterkünfte mit vielen Türen, am besten aus Papier! Oder, noch
sicherer, campiert auf offenem Feld und unter freiem Himmel! (Unter diesen
Voraussetzungen könnten wir einem größeren Beben
etwa der Stärke 8 auf der Richterskala mit freudiger Erwartung
entgegensehen. Die Misere der Kärntner Baukultur wäre vielleicht
mit einem Schlag behoben.)
Das GROSSE GROLLEN versteht sich aber auch als Begleitmusik zu
einem Beben ganz anderer Art. Es ist das Beben der Kulturschaffenden dieses
Landes. Manche von ihnen beben vor Wut, viele beben vor Angst. Es ist
die Angst vor einem, den seinerseits die Angst beherrscht. Vor einem,
der sich offenbar fürchtet vor kritischen Geistern, vor unbequemen
Künstlern und schwieriger Kunst, vor anderen Kulturen, vor Einwanderern,
neuerdings auch vor den Juden, jedenfalls vor allem, das ihm fremd ist
und das er nicht versteht und nicht begreifen kann. Die Rede ist, sie
ahnen es, vom Kulturreferenten dieses Landes, von Jörg Haider. Von
einem Kulturreferenten, dem die Kunst und die Kultur ein Rätsel sind,
und der sich deshalb einen eigenen, rechtsextremen Kulturberater, Andreas
Mölzer, halten muß. Einen Kulturberater, dessen düsteres
Weltbild nicht minder angstbesetzt ist. In diesem wimmelt es nur so von
Widersachern: von Linkslinken, Fäkalkünstlern, Umvolkern, Vaterlandsverrätern,
Intellektuellen, Gutmenschen lauter gefährlichen Feinden,
die es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt.
Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber, sie verengt den Blick und
verleitet zu irrationalen Handlungen. Angst macht dumm. Entsprechend stellt
sich die derzeitige Kulturpolitik dar: als eine Aneinanderreihung unvernünftiger
und konfuser Maßnahmen.
»Kein Stein wird auf dem anderen bleiben«, hat Herr Haider
einmal gedroht, und damit ist sein kulturpolitisches Programm auch schon
beschrieben. Die Angst der Kulturschaffenden ist berechtigt. Sie sehen
sich einem Politiker gegenüber, der meint, die Kunst sei dafür
da, den Mächtigen zu huldigen oder die Massen mit sogenannten »Events«
bei Laune zu halten. Wer sich dem nicht beugt und sich nicht vereinnahmen
läßt, wird angeprangert und unter Druck gesetzt oder mit dem
Entzug von Förderungsmitteln bestraft. Eine mißliebige Kultureinrichtung
nach der anderen gerät ihm ins Visier. Regelmäßigen Einblick
in die Abschußliste gewährt uns Andreas Mölzer alias Noricus
in der Kärntner Krone. Die Liste derer, die von dieser Politik
der Einschüchterung und des Kahlschlags betroffen sind, wird immer
länger:
die Kärntner Kulturpfade
Die IG KIKK
das Musiktheater Arbos
das Theater im Landhauskeller
der Ingeborg Bachmann Preis
die Landesgalerie
das Theater Waltzwerk
das UNIKUM
der Kunstverein Kärnten
das No Borders Festival
das Kärntner Kulturgremium
die Studiobühne Villach
die Kulturabteilung des Landes
das Kärntner Autorentheater
der Verein Innenhofkultur
Manche vermuten hinter all dem eine ausgeklügelte Strategie. Vielleicht
sind es doch nur die Eitelkeit und der pure Unverstand, die dahinterstecken.
Denn nur ein schlichtes Gemüt kann glauben, daß sich die Kunst
auf Dauer gängeln läßt. Nur ein schlichtes Gemüt
wird glauben, daß sich die Verwüstung der kulturellen Landschaft
nicht irgendwann politisch rächt. Und nur ein schlichtes Gemüt
verjubelt 60 Millionen für eine schwimmende Plattform für abgetakelte
Schlager- und Musicalproduktionen.
Jorg Haider ist so etwas wie der kulturpolitische Dobratschsturz Kärntens.
Aber es handelt sich dabei um keine Naturkatastrophe, der wir hilfslos
ausgeliefert sind. Es ist ein geistiger Erdrutsch. Der Schutt kann weggeräumt
werden. Er muß weggeräumt werden. Nehmen wir ihn auf die Schaufel!
Künstlerinnen und Künstler, Kulturschaffende des Landes! Vertraut
der Kraft Eurer Arbeit! Kommt aus Euren Kellern, geht aus der Deckung!
Seid wachsam, achtet auf den Geschmack der Kartoffeln, geht barfuß,
beobachtet die Tiere! Nehmt Euch ein Beispiel am afrikanischen Kontinent!
Stemmt Euch gegen das Bärental! Erhebt Euch wie die Alpen! Stellt
Euch denen entgegen, die alles plattwalzen wollen! Oder nehmt Euch ein
Beispiel am Wind, dem wir diese schöne Skulptur hier zu verdanken
haben! Für die Ihr nur Luft seid, blast ihnen ins Gebälk! Deckt
auf, deckt ab! Und nehmt Euch ein Beispiel an diesem Blech! Faltet Euch
auf! Zeigt die Zähne, seid laut, seid sperrig und laßt Euch
nicht entsorgen!
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Hörerlebnis. (Gerhard Pilgram)
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