I. Zeit | Čas | Tempo II. TAKT | TAKT | BATTUTA III. ALTER | STAROST | ETÀ IV. Casa del Popolo | Val Pesarina
Zu fragen, was die Zeit ist, und das an einem Ort, der beherrscht wird von Zeitmessern, ist in gewisser Weise logisch. Andererseits aber überflüssig, wenn man bedenkt, dass die Zeitmessmaschinen, die Uhren, nur messen sollen und können, was der Mensch a priori als ein zu Messendes festgesetzt hat – die Zeit nämlich. Das klingt einigermaßen umständlich, um nicht zu sagen albern. Trotzdem. Die Frage lautet: Was ist die Zeit? Das 11. Buch seiner Bekenntnisse, den confessiones von Aurelius Augustinus, beginnt mit dieser Frage »Was ist Zeit« und lässt die Leserin und den Leser frustriert zurück, wenn er fortsetzt: »Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich's, will ich's aber einem Fragenden erklären, weiß ich's nicht.« So geht es wohl den meisten. Wir haben kein Organ, das uns die Zeit wahrnehmen lässt und dennoch wir führen die Zeit andauernd, täglich, gleichsam automatisch in unseren Gesprächen mit uns:

Ich habe leider, ich bin mit der Zeit;
Wenn du natürlich in so einem Zeitdruck bist;
Nur heute habe ich besonders wenig Zeit;
Selbstverständlich, wenn du jetzt keine Zeit hast;
Wenn ich dann wieder mehr Zeit habe;
Mit der Zeit werden wir ja, es ist nur jetzt;
Dann können wir ja, wenn du einmal Zeit hast;
Gerade in dieser Zeit, wenn es wieder geht;
Du mußt eben mit der Zeit etwas weniger;
Wenn ich nur noch zur rechten Zeit;
Aber du liebe Zeit, du darfst nicht zu spät;
Ich habe noch nie so wenig Zeit, das ist leider;
Wenn du dann wieder mehr Zeit hast, vielleicht;
Später werde ich dann mehr Zeit haben!
(Diese Zeitkaskade habe ich dem Roman Malina von Ingeborg Bachmann entnommen.)

Dazu kommt, dass vergangene Zeit nicht mehr ist, zukünftige noch nicht ist, und die Gegenwart, das Jetzt, wir sagen auch Augenblick dazu, im Moment des Erlebens abtaucht in die Vergangenheit. Weg ist. Für immer. No return. Und wir kennen die fatale Konsequenz, wenn der Augenblick verweilen soll, die Uhr dann stehen mag, der Zeiger fallen und das Leben des Herrn Faust dann enden wird. Wenn sie aber möglicherweise doch vergeht? Wie können wir die vergangene Zeit aufspüren, sie uns vorstellen, vergegenwärtigen? Ein Trick kann helfen. Fokussieren wir nicht das Vergehen der Zeit, sondern das Vergehen des Menschen in ihr. Schauen Sie sich Ihr Bild im abgelaufenen Reisepass an. Sie werden es merken, trotz Photoshop.
Ernst Jandl formuliert es präzise und schonungslos: »Das Leben wird länger und länger, nämlich kürzer und kürzer. Es zieht sich nicht!« Die Zeitmesser, die Chronometer haben den griechischen Gott Χρóνος im Wort. Χρóνος ist ein eher unbedeutender Gott, nicht zu verwechseln und – was die Prominenz anlangt - nicht zu vergleichen mit Kρóνος, dem Sohn der γαíα und des Oυρανος, der aus Angst, dasselbe Schicksal zu erleiden wie sein Vater, nämlich kastriert zu werden, seine Kinder gleich nach der Geburt verschluckte. Κρóνος wurde häufig mit Χρóνος als Gottheit verschmolzen im Bild der Zeit, die ihre Kinder frißt.

Ein weiterer Zeitgott bei den Griechen ist Καιρóς, der Gott des rechten Augenblicks, dargestellt als nackter Jüngling mit einem langen Haarschopf vorne und einem hinteren Glatzkopf (gleichsam die Umkehrung von Vokuhila). Es galt, den Schopf im richtigen Moment zu packen, wer zu spät danach fasste, griff ins Leere, auf die Glatze.

Ich komme zurück zum Anfang, zur Frage nach der Zeit. Diesmal jedoch konkret nach der Jetztzeit, der Uhrzeit. Uhrzeit mit »h«. Die Sprachen formulieren diese Frage unterschiedlich: es wird nach der Zeit selbst gefragt: What time is it?
Oder nach der Stunde: Che ora è ? Quelle heure est-il?
Manche befragen den Chronometer direkt: Koliko je ura?
Das Deutsche schert da aus. Haben die Germanen immer schon das Gefühl gehabt, etwas verpasst zu haben,Versäumnisse aufholen zu müssen, wenn sie - gleichsam als sprachlich schlechtes Gewissen - fragen: Wie spät ist es?